Lone Scherfings nostalgisches Coming-of-Age-Drama irritiert mit kruden Thesen über „wandernde Juden“.
Mädchen einfacher Herkunft trifft reichen Märchenprinzen: ein klassischer Trivialroman-Plot. Der Märchenprinz erweist sich als Betrüger, das schöne Leben als hohl und oberflächlich, und das Mädchen kehrt geläutert in seine alte Welt zurück: die Kritik des Trivialroman-Plots, fast konservativer als dieser selbst. Der betrügerische Märchenprinz ist ein Jude: natürlich nur ein dummer Zufall, für den Nick Hornby und Lone Scherfig gar nichts können. An Education, man hört den Einwand schon jetzt, beruht nun einmal auf einer wahren Begebenheit.
Aber der Reihe nach. Der Film der früheren Dogma-Regisseurin (Italienisch für Anfänger; Italiensk for begyndere, 2000) und des britischen Starautors spielt im London Anfang der 1960er Jahre und erzählt die Geschichte der 16-jährigen Jenny, die mit ihren Eltern in einer öden Vorstadt lebt und einen guten Schulabschluss anstrebt, um in Oxford studieren zu können. Mit ihren Freundinnen sitzt sie manchmal rauchend im Café und schwärmt für Camus, Paris und den Existenzialismus, sonst gönnt sie sich kaum Eskapaden.
Nach einem Schulkonzert trifft sie David (Peter Sarsgaard), einen Bonvivant Anfang dreißig, der Jenny und ihr Cello regendurchnässt von der Straße aufliest, in seinem schicken Bristol nach Hause bringt und sie fortan umwirbt. Nicht nur Jenny, auch ihre strengen Eltern erliegen schnell dem Charme des Lebemanns. Der Altersunterschied macht sie nicht misstrauisch, David ist ein Blender par excellence. Und schlägt mit cleveren Tricks auch schnell das Okay für gemeinsame Wochenenden heraus, Übernachtung inklusive.
So lernt Jenny das süße Leben kennen. Gemeinsam mit David und einem befreundeten Paar verschlägt es sie in Jazzbars, auf Konzerte, Auktionen, Hunderennbahnen und schließlich sogar ins geliebte Paris. Verständlich, dass sie an ihrem Lebensplan zu zweifeln beginnt. Als David um ihre Hand anhält, schmeißt sie die Schule, zur Enttäuschung ihrer Lehrerin, aber mit Zustimmung der Eltern. Doch dann lässt ein in Davids Handschuhfach gefundener Brief alle Träume zerplatzen.
Als ein durchweg nostalgisches, aber nicht völlig verklärend wirkendes Zeitporträt zeigt An Education die britische Gesellschaft schon an der Schwelle zum Umbruch. Die Repressionen durch Schule und Elternhaus scheinen nicht mehr wirklich bedrohlich, sondern bereits brüchig, im Abschied begriffen. Das autoritäre Gebaren des von Alfred Molina gespielten Vaters etwa ist schon auf den ersten Blick nur kaschierte Unsicherheit. Und Jenny sieht sich durchaus nicht genötigt, ihre Liaison der Öffentlichkeit zu verheimlichen.
Als Paar einigermaßen glaubhaft werden David und Jenny durch einen Besetzungstrick: Hauptdarstellerin Carey Mulligan ist rund zehn Jahre älter als ihre Figur. Mit einer wirklichen 16-Jährigen würde diese wohl kaum so funktionieren wie vom Film beabsichtigt. So aber bröckelt das Charakterprofil des klugen, selbstbestimmten Mädchens, das verschmitzt lächelnd leicht über den Dingen steht, selbst dann nicht, wenn Jenny sich objektiv ziemlich dämlich verhält. Und gerade, wenn An Education inhaltlich am stärksten ins Seichte zu driften droht, schlägt er einen recht nüchternen Ton an: vor allem in den Liebesszenen, die wie eine fortschreitende Entromantisierung inszeniert sind.
Das Gewinnende des Films ist dabei zunächst, dass lange unklar bleibt, welche Früchte Jennys Bildungserlebnis am Ende trägt. Wenn sie der Rektorin (Emma Thompson) erklärt, sie sehe in ihrer Ausbildung und einer drögen Lehramtslaufbahn keinen Sinn, können wir das gut verstehen: Wir würden ihr ein aufregenderes Leben nur zu gern gönnen.
Eben weil der Film die Frage, wo Jennys Glück liegt, lange offen lässt, mag er mit der Figur des jüdischen Verführers beim Gros der Kritiker (jedoch nicht bei allen) so unbehelligt durchgekommen sein. Viele Rezensionen erwähnen Davids Judentum gar nicht, die Synopsis auf der deutschen Homepage übrigens auch nicht. Die nachgerade perfide Strategie des Films ist es, offen judenfeindliche Haltungen durchweg der Gegenseite zuzuschlagen. Der Vater schwafelt vom „wandernden Juden“, einem jahrhundertealten Feindbild, und der Rektorin kommt sofort der „Christusmörder“ in den Sinn. Jenny bietet beiden Paroli. Wir sind auf Jennys Seite. Alles in bester Ordnung also. Aber Jenny, siehe Filmtitel, muss ja noch lernen.
Für die eigentliche Erzählung scheint die Sache kaum mehr zu sein als eine Fußnote. Unter dem Schutz dieser Beiläufigkeit präsentiert der Film dann aber so ziemlich jedes antisemitische Klischee, das sich denken lässt: David, dessen Nachname übrigens „Goldman“ lautet, entpuppt sich nach und nach als arbeitsscheuer Bruder Leichtfuß, als Dieb und Hehler, als sich auf Kosten anderer bereichender Fiesling und schließlich – als es darauf ankäme, zu Jenny zu stehen – als rückgratloser Feigling. Bei alledem bleibt er stets höflich, aber immer ein wenig schmierig (der auf diesen Typus abonnierte Sarsgaard spielt ihn so routiniert wie perfekt). Immobilien besitzt er auch. Er lässt schwarze Familien in die Nachbarschaft rassistischer Weißer ziehen, um diese zu vergraulen und ihre Wohnungen billig zu erwerben: Zwecks Geldscheffelns spielt der „wandernde Jude“ die anderen „Rassen“ gegeneinander aus, so wie er es seit jeher getan hat. Mit anderen Worten: Der Vater und die Rektorin, ehrlich arbeitende christliche Briten, hatten mit ihrer Warnung völlig recht.
Man wartet, hofft auf einen Bruch, sucht nach einer Gegenlesart, versucht die Form gegen den Inhalt zu wenden – so weit hält einen der ja nicht unreflektiert wirkende Film noch bei der Stange –, aber man findet nichts. Selbst unterstellt, der Figur des David läge keine böse Absicht, sondern nur völlige Gedankenlosigkeit zugrunde: Ein nicht bewusst gewähltes, sondern wie selbstverständlich eingedrungenes Feindbild beweist seine Wirkungsmacht ja erst recht. So denkt es offenbar in den Machern von An Education.